Stipendiatin des Internationalen Austauschs 2018
Freya Hattenberger studierte von 2001-2006 Medienkunst an der KHM Köln, ging danach an das Sandberg Institute Amsterdam, wo sie 2009 mit dem Postgraduate Master in Fine Arts abschloss. Zentrale Themen ihrer künstlerischen Auseinandersetzung sind körperliche Bedürfnisse in Verbindung zur sozialen und ökologischen Umwelt. Sie arbeitet mit Video Performance, Video- und Soundinstallation sowie mit Fotografie.
Im Herbst 2018 verbrachte sie im Rahmen des internationalen Austauschsprogramms des Frauenkulturbüros zwei Monate in Georgien und Armenien.
FKB: Hat dich eines der beiden Kaukasus-Länder in Bezug auf deine künstlerische Arbeit besonders beeinflusst?
Frey: Als unglaublich inspirierend empfand ich sowohl in Georgien als auch in Armenien die dort herrschende Kreativität und Dynamik, mit der die Menschen ihren Alltag meistern – und damit dem Sein-Zustand von Künstlerinnen und Künstlern recht ähnlich sind. Aus dem Nichts Großes schöpfen und aus einer Situation des Mangels heraus produzieren, kreieren, publizieren – das hat auch etwas Befreiendes. Man verliert sein Ziel weniger aus den Augen. Man beschränkt sich auf das Wesentliche, das Essentielle. Wenn begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen, überlegt man sich genau, was man und wie man etwas macht und warum man etwas so macht, wie man es macht. Unter solchen Bedingungen steht der künstlerische Ausdruck mehr im Mittelpunkt, der Wille zum Ausdruck fokussiert sich.
Die Konzepte meiner Arbeiten, die in dieser Zeit entstanden sind, zeichnen sich vor allem durch ihre klare Struktur aus. Besonders spannend empfand ich für meine Arbeit zum Themenkomplex Soundperformance und Architektur den Wechsel der Perspektiven in Bezug zur Architektur des Brutalismus, die in Georgien und Armenien „sowjetische Architektur“ genannt wird. Die Fragestellungen rund um diese Gebäude sind hier wie dort sehr ähnlich, jedoch wird der Diskurs um die Erhaltung der Architektur unter anderen Vorzeichen geführt. Es steckt sehr viel Vergangenheitsbewältigung der jüngeren Geschichte beider Länder darin und das ist unglaublich spannend. Ich hoffe, dass ich eine Session meiner fortlaufenden Serie „Meander Tapes“ (gemeinsam mit Peter Simon) in Yerevan und/ oder Tbilisi realisieren kann.
Der Freiraum, den dieses Stipendium ermöglicht, ließ mich meine künstlerische Arbeit auf vielfältige Weise weiterentwickeln. Es entstand eine neue Videoperformance mit zwei jungen armenischen Tänzerinnen, deren Impuls ich durch die Beobachtung einer Beziehungsszene auf der Straße in Tbilisi mit nach Yerevan genommen habe. Auch habe ich mich vor Ort mit performativer, analoger Fotografie zum Thema Körper im Raum auseinandergesetzt. Ständig ist man umgeben von Geräuschen, Gerüchen, Stimmen, Musik, Obst – das analoge Material fängt diese Sinnlichkeit am besten ein.
Überhaupt sind die interpersonellen Begegnungen und der Kontakt zu so vielen Menschen der größte Schatz dieses Stipendiums. Durch meine Teilnahme an der Tbilisi Triennale und dem Besuch des Unsound Festivals in Yerevan kam ich mit unglaublich vielen Künstlern, aus dem Kaukasus ebenso wie aus der ganzen Welt, von den USA und Brasilien über Polen, die Schweiz, dem Libanon bis hin nach Indien und Australien, in Kontakt.
FKB: Welche Ausstellungen/Festivals hast du besucht und was kannst du über die Szene vor Ort erzählen?
Freya: In beiden Ländern hat die Kultur einen extrem hohen Stellenwert. Die Frequenz, mit der Ausstellungen und Festivals organisiert werden, ist enorm.
Neben dem Georgian National Museum und dem State Silk Museum besuchte ich das Tbilisi Foto Festival im Hotel Stamba, in dessen Rahmen auch zur “Night of Photgraphy“ sehr schön zusammengestellte Projektionen in Betlemi präsentiert wurden. Ebenso besuchte ich die Gallery Nectra und die Eröffnung der permanenten Fotoinstallation der Baratashvili-Brücke als Vorboten des kommenden Kolga Foto Festivals. Die Patara Gallery ist ein toller Off-Space mit fantastischen Künstlerprojekten, ebenso ProjectArtBeat und der ganz neu eröffneter Raum Open Space of Experimental Art in der Nähe von Elektrowerk. Als Künstlerin habe ich an der Tbilisi Triennale im Hotel Stamba teilgenommen, sowie in deren Kontext andere Ausstellungen an diversen anderen Spielorten in der Stadt besucht. Eine tolle Sache! Ebenso bleibt mir die Tbilisi Architecture Biennal mit ihrem sehr gut kuratierten Ausstellungsprogramm positiv in Erinnerung. In Yerevan fand das fantastische Unsound Electronic Music Festival statt. Ich war begeistert von der Auswahl und Qualität der performenden Klangkünstler und DJs, aber genau so angetan war ich von der Atmosphäre des Festivals und der Begeisterung des mitgerissenen Publikums. Die Leute kamen, um den Moment zu feiern. Vollkommen frei von Konsumzwang wird so für junge Leute ein Zugang zu internationaler Musikkultur ermöglicht; dieses identitätsstiftende Erlebnis spiegelt sehr gut den Optimismus und die Hoffnungen der jungen Generation in Armenien wider.
Während meines Aufenthalts fand ebenfalls das High Fest International Performing Arts Festival statt, in dessen Kontext ich Zugang zu den Protagonistinnen meiner neuen Videoarbeit fand, wie auch inspirierende Inszenierungen zeitgenössischen Tanzes erleben und an einem Workshop des Mamaza Ensembles teilnehmen konnte. Auch die International Contemporary Art Exhibition im Hay Art Cultural Center mit der tollen Architektur sowie andere Ausstellungsorte habe ich besucht.
Insgesamt hat mich die umfassende Auseinandersetzung mit Inhalten zeitgenössischer Kunst sehr positiv überrascht. Auch „Normalbürger“ sind an Kunst interessiert und zeigen sich offen. Bei sehr herzlichen Begegnungen mit lokalen Künstlerinnen und Künstlern führte ich spontan tiefgreifende existenzphilosophische Diskussionen, besprach Gender- und Machtdiskurse sowie Reflektionen über das Individuum und die Gesellschaft und die Bedeutung des Kunstschaffens als Form des gesellschaftlichen Aktivismus. Und es sind in der Mehrzahl die gut ausgebildeten, jungen Frauen, die mit Ausstellungen, Kunsträumen und Festivals den Rahmen dafür bieten. Die Auf- und Umbruchsituation der Region schafft ein lebendiges, dynamisches Umfeld und lässt die Menschen auf ganz besondere Weise ein Bewusstsein für ihre Situation entwickeln und den Moment bedenken.
FKB: Gibt es besondere Erlebnisse, die dir positiv in Erinnerung geblieben sind?
Freya: Diese unglaubliche Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Menschen, die Verköstigung mit Selbstgemachtem im Mini-Bus zwischen Yerevan und Tbilisi, die beiden netten Damen, die mir das Geld für den Bus zum Supermarkt geschenkt haben, der Taxifahrer, der in der Dämmerung mit auf die Burgruine geklettert ist.
Das Interview führte Maria Wildeis.