Linda Nadji

Stipendiatin des Internationalen Austauschs 2019

Die 1972 in Teheran geborene Installations- und Performance-Künstlerin studierte zunächst Design an der Fachhochschule Aachen und absolvierte später eine Schauspielausbildung am Zentrum für Schauspiel und Tanz in Köln. 2011 folgte ein Abschluss in Freier Kunst nach einem Studium bei Professor Hubert Kiecol an der Kunstakademie Düsseldorf. Linda Nadji lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Köln und ist als festes Mitglied in dem Projektraum BRUCH & DALLAS eingebunden. BRUCH & DALLAS ist ein nicht-kommerzieller, selbst verwalteter Ausstellungs- und Begegnungsort für Positionen der zeitgenössischen Kunst. Im Herbst 2019 war sie zwei Monate im Rahmen des Internationalen Austauschs in Georgien und Armenien

FKB: Linda, du verbrachtest den September und Oktober 2019 in Georgien und Armenien. Kannst du kurz umreißen, wie deine Zeit in den beiden Gastländern aussah? Wie hast du dich orientiert? Wie waren deine Tage gefüllt?
Linda: Für mich waren beide Länder neu und die jeweilige Sprache und Schrift fremd. Ich mochte den Umstand, nichts zu verstehen und daher die anderen Sinne mehr einsetzen und schärfen zu können. Trotz der Fremde, waren mir aber beide Länder sehr nah. Subtil konnte ich eine Nähe zum Iran spüren, das Land, wo ich gebürtig herkomme und in dem ich seit über 17 Jahre schon nicht mehr war. Bei meiner Ankunft in Tbilisi wurde ich von Ninutsa Shatberashvili abgeholt und in die Residenz-Wohnung gefahren. Von dort aus bekam ich eine kleine Einführung – Einkaufsmöglichkeiten, Telefonkarte besorgen, Metrosystem und so weiter… Eine Liste mit Museen, Galerien, Restaurants und Bars bekam ich ebenfalls und so schlug ich von meiner Wohnung aus immer weitere Kreise, um die Stadt zu erkunden. Meine Wohnung war nahe der Rustaweli Straße, genannt nach dem bedeutenden georgischen Dichter und Literaten des Mittelalters. Diese Straße mit ihren Prachtbauten, dem Parlament, dem Opernhaus und verschiedensten Museen wurde zu meinem Ankerpunkt, von dem ich mich immer weiter weg bewegte. Ich bin viel gelaufen und für mich waren die kleinen alltäglichen Entdeckungen genauso wichtig wie die kulturellen Angebote. Ich habe mich bewusst treiben lassen und bin zwischen erlebnisreichen Tagen und Tagen der Lektüre, Recherche und Atelierarbeit gewechselt. Der Mokka am Morgen auf dem Gasherd wurde zum Ritual und der Rest des Tages zum Abenteuer.

 

FKB: Wie war die Betreuung vor Ort und die Anbindung an die dortige Kunstszene?
Linda: Das Frauenkulturbüro hatte dafür gesorgt, dass ich für die jeweilige Stadt eine Ansprechperson hatte. In Tbilisi war es Ninutsa Shatberashvili (Künstlerin) und in Yerevan Eva Khachatryan (Kuratorin). Durch beide hatte ich die Möglichkeit, verschiedene Kunstschaffende kennen zu lernen, Studio Visits zu machen, mich zu vernetzen und Einblicke in die junge Kunstszene zu bekommen. Auch lernte ich einige der Künstlerinnen kennen, die im Zuge des Internationalen Austauschprogramms des Frauenkulturbüros schon in Deutschland gewesen waren. In Tbilisi ist die Kunst- und Kulturwelt sehr aktiv und es gab fast jeden Abend eine Eröffnung, eine Performance oder einen Vortrag. Im September fanden das Tbilisi Photo Festival statt, das es seit 2010 gibt und die Performance Days Tbilisi – beide mit internationalen und lokalen Künstlern und Positionen und in verschiedenen Locations der Stadt verteilt. Die aktive junge Szene ist aber doch überschaubar und man bekommt nach einer Zeit einen sehr guten Überblick über die Galerie- und Off Space-Szene. Auch wenn die georgische Kunstszene schon international agiert, ist bei den jungen Künstlern die Thematik der eigenen Identität zu spüren. Die Stadt ist voll mit jungen Menschen aus ganz Europa, die sich dort sesshaft machen und die vorhandene Aufbruchstimmung mitgestalten. Ein wenig erinnert Tbilisi an Berlin in den neunziger Jahren. Sie ist aber überschaubarer und etwas nostalgischer.

In Yerevan war es etwas ruhiger in der Kunstszene. Ich brauchte einige Zeit, dies zu verstehen. Die Revolution, die im April 2018 stattgefunden hatte und an der sich auch viele Künstler/Innen und Intellektuelle beteiligt hatten, schien eine Art Warte- und Rückzugstendenz in der Kunstszene hervorgebracht zu haben. Die Künstler/Innen erzählten mir, dass die vielen Aktivitäten während der Aufstände und die Verbundenheit und Gruppierungen sehr intensiv und kraftvoll waren, nun aber abgeebbt sind. Trotzdem hatte ich die Chance einige Studiobesuche zu machen und gute Gespräche zu führen. So ergab sich eine Kollaboration mit den Performerinnen Hasmik Tangyan und Lilith Petrosyan im öffentlichen Raum an der Metrostation “Republic Square”, einem Bau aus der Sowjetzeit, in der ich mit meinen Ideen die Performance „houZANK u ZANQ“ mit gestaltete. Auch habe ich in einer weiteren künstlerischen Aktion ein Kunstwerk der iranisch-armenischen Künstlerin Lousineh Navasartian von Yerevan nach Teheran für eine Ausstellung transportiert. Für mich war es ein willkommener Anlass und ein einschneidendes Erlebnis, in einer 24 stündigen Busfahrt über das Land die Grenze zu passieren und nach 17 Jahren in meine alte Heimat einzureisen.

FKB: Gibt es Themen, die die Künstlerschaft in Armenien und Georgien besonders beschäftigen?
Linda: Ja, in erster Linie geht es um Identität und um den Kampf gegen Korruption und für Meinungsfreiheit. Es wirkt dort alles essentieller, emotionaler und dringlicher. Trotz einer Orientierung an die westliche Welt und dem Bedürfnis nach Fortschritt sind die Künstler/Innen auf der Suche nach Ihrem kulturellen Erbe vor der Sowjetzeit und versuchen sich so zu definieren und auch abzugrenzen. Dabei geht es nicht nur um die Kunst, sondern genauso um das kulinarische Gut und um die Traditionen, die zu Zeiten der UDSSR unterdrückt wurden. Aber natürlich sind die Hinterlassenschaften der Sowjets immer noch sichtbar und die Künstler/Innen arbeiten sich auch an diesem Erbe ab.

FKB: Auf einigen Bildern sind Präsentationen deiner Arbeiten zu sehen. Wie und wo hast du gearbeitet? Was hat dich inspiriert?
Linda: Ich hatte in Tbilisi eine geräumige Wohnung, in der ich mir einen Arbeitsplatz eingerichtet habe. Ich habe eher im kleinen Format gearbeitet und Eindrücke skizziert und verarbeitet. Es sind so einige Aquarelle entstanden, ein kleiner Film und einige Stoffarbeiten. Diese habe ich vor meiner Abreise in der Residenz-Wohnung gezeigt. Es war ein Come together mit den Kunstschaffenden, die ich vor Ort kennen gelernt habe und ein kleines Showing. In der 1. Woche bot sich mir die Möglichkeit, bei der Einweihung eines Kreativraums in einer Dorfschule dabei zu sein. Unter dem Namen PARALLEL CLASS hatten junge Künstler/Innen aus Tiflis gemeinsam mit Schulkindern einen freien Kunstraum in der Schule gebaut, der dauerhaft für sie zur Verfügung stehen wird. Die Einweihung fand zum Schulstart nach den Sommerferien statt mit einer gemeinsamen Koch-Aktion auf dem Schulhof. Die Verhältnisse einer kleinen Schule in Georgien sind sehr ärmlich und nicht mit unseren Standards vergleichbar. Daher war ich von dem Engagement der Künstler/innen und von der Offenheit der Lehrenden und den Schülern sehr beeindruckt. Einige dort entstandene Fotos habe ich auf transparentem Stoff ausdrucken lassen und sie in die Wohnungssituation integriert. Meinen Arbeitsplatz habe ich mit einem Stapel georgischer Schulheften bestückt und jedem Gast eines zur eigenen Gestaltung mitgegeben. PARALLEL CLASS für die Künstler/innen…

FKB: Welche waren deine prägnantesten Eindrücke während deiner Reise?
Linda: Keine einfache Frage! Der ganze Aufenthalt war sehr intensiv, fast jeder Tag war prägnant. Die Rustaweli Straße mit ihren Unterführungen, der Blick auf Tbilisi vom Funpark herunter, die alte Nachbarin im Innenhof, die stundenlang Obst zum Trocknen bearbeitete, die persönliche Führung von Nunitsas Vater, einem Archäologen, durch das historische Museum, eine Einladung zum Sommerhaus mit festlichem Essen, der Hinterhof vom Literaturmuseum, Atelierbesuche, Performance Workshop, Straßen-Flohmarkt mit Ausverkauf der UDSSR,  Straßensperrung in ganz Tbilisi wegen Dreharbeiten für eine amerikanischen Kinoproduktion, Schulfeier in einem Bergdorf mit kleiner Wanderung zum rituellen Orten der Gemeinde, Bauten des Brutalismus aus der Sowjetzeit, Gletschermusik im Goethe Institut in Yerevan, der Blick auf den Ararat aus meinem Fenster in Yerevan, die Stadt der Wasserfontänen, der Sevan See, das Kloster Gebhard, die Zusammenarbeit mit Hasmik Tangyan  für die Performance am Republic Square, mein spontaner Bustripp von Yerevan nach Teheran als Kurier eines Kunstwerks….

FKB: Würdest du noch einmal eines der beiden Länder besuchen wollen?
Linda: Auf jeden Fall! Für mich waren beide Länder sehr spannend. Die jeweilige Kultur empfand ich als sehr reich und vielschichtig, so dass ich noch weitere Aufenthalte realisieren, dem Entdeckten nachgehen und Begegnungen vertiefen möchte.
Das Interview führte Heidi Matthias