Musikerin
Barbara Streil, 1977 in Basel geboren, wurde bereits als Sechsjährige an der Musikakademie Basel in den Fächern Violine, Chor und Orchester unterrichtet. Später folgte ein Jahr an der Interlochen Arts Academy in Michigan und nach der Matura das Violinstudium in Basel. Nach ihrem Diplom ging sie im Jahre 2000 als Stipendiatin für ein Jahr an die Cité Internationale des Arts Paris.
Seit 2003 lebt die freischaffende Kammermusikerin und Mitbegründerin des Asasello-Quartetts in Köln. Ihr musikalisches Können wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Seit 2014 ist Barbara Streil vermehrt auch als Dozentin für Violine, Kammermusik und Chor aktiv (Kammermusikzentrum NRW, Jeunesses Musicales, Hochschule für Musik und Tanz Köln). Mit den Thearermacherinnen Aischa-Lina Löbbert und Laura Remmler erfand und etablierte sie das interdisziplinäre künstlerisch-pädagogische Format P E R F O R Musik.
FKB: Barbara, du hast schon mit 6 Jahren an der Musikakademie studiert. Mit 11 Jahren sangst du die Hauptrolle in der Oper „Pollicino“ am Stadttheater Basel und noch während deines Studiums in Basel warst du zwei Jahre lang Konzertmeisterin eines Jugendorchesters in Freiburg. Wieso bist du nicht Sängerin oder Dirigentin geworden?
Barbara: Ja warum nicht… denn genau das, Singen als ursprünglichste Form des Musizierens aus uns selbst heraus und allumfassend Hören machen doch das Wesen von Musik aus. In meiner kammermusikalischen Arbeit und vor allem mit P E R F O R Musik suche und finde ich nun Wege, dies alles wieder zusammenzubringen. Denn leider habe ich, als es darum ging, konkret berufliche Weichen zu stellen, schlicht und einfach nicht den Mut gehabt, mich derart ins Licht zu stellen. Nicht fürs Singen und nicht fürs Dirigieren in einer – let’s face it – recht konservativen und männerdominierten Welt. Hab mich da nun sozusagen auf Umwegen herangeschlichen.
FKB: Wann war der Zeitpunkt gekommen, dich der zeitgenössischen Musik zuzuwenden?
Barbara: Einen konkreten Zeitpunkt gab es nicht. Da ich die Unterscheidung von Neuer und Alter Musik ablehne (mich interessiert das Wesen der jeweiligen Musik und nicht ihr „fashionable-sein-oder-nicht-sein“) bin ich wohl als „für zeitgenössische Musik geeignet“ aufgefallen. Komponisten müssen ja manchmal schon froh sein, wenn sie nicht per se kategorisch abgelehnt werden von Interpreten, die einfach nicht verstehen wollen, was jemand zu sagen hätte. Und Zuhören kann ich! Das heißt, ich habe mich mit Henze als Kind, später mit Stravinsky, Wyttenbach, Schönberg, Lachenmann, Trümpy, Haubenstock Ramati, Webern, Ligeti etc. – eine bunte Mischung, von berühmten und weniger berühmten Leuten, mit denen ich anfangs des Studiums in Kontakt kam – genauso frisch und munter auseinander gesetzt wie mit Haydn, Mozart und Beethoven, deren Werke für mich ja auch alle neu waren. Dass es gute und weniger gute Werke gibt, hab ich allerdings schnell gemerkt.
FKB: Wie in der Biografie zu lesen ist, nahm 2003 das Asasello-Quartett ein Studium an der Hochschule für Musik Köln auf, das es 2007 abschloss. Wie können wir uns das vorstellen?
Barbara: Köln war damals die Nummer Eins für Kammermusik in Europa. In der Tradition des Amadeus Quartetts hat das Alban Berg Quartett viele Jahre den musikalischen Kammermusiknachwuchs betreut. Und die Vortragsabende hießen nicht etwa „Vortragsabend“ sondern „Rising stars“. Alles klar?
Dass wir uns parallel zum Studium des klassisch-romantischen Repertoires beim ABQ weiterhin gleichwertig mit Neuer Musik auseinandersetzten (in der Klasse von David Smeyers und auf privater Basis mit Christophe Desjardins, Ensemble Intercontemporain, Paris) hat uns unseren Weg nicht erleichtert. Aber wir haben immer abenteuerliche Pfade der Autobahn vorgezogen.
FKB: Du bist aktive Musikerin und Mutter von zwei kleinen Kindern. Wie gelingt dir der Spagat zwischen Beruf und Familie?
Barbara: Schmerzhaft. Üben üben üben, man ist ja auch keine zwanzig mehr. Aber der „Schmerz ist unser Freund“ sagt mein Yogalehrer und ich bin glücklich, dass mein Leben – denn unter dem Strich ist „Leben“ ja die Ausgangsposition für Kunst – mit zwei so wunderbaren Wesen um mich herum reicher geworden ist.
FKB: Du bist eine der drei Stipendiatinnen unseres Förderprogramms „Präsenz vor Ort“ 2020. Wie hat dir das Stipendium in Bezug auf deine Arbeit geholfen?
Barbara: Um auf Frage eins zurückzukommen: Mut. Dieses Stipendium ist das erste Stipendium, welches ich für mich und meine Arbeit bekommen habe, weil ich so lebe und arbeite wie ich es eben tue: als freischaffende Musikerin mit unkonventionellen Ideen und obendrauf noch zwei kleinen Kindern. Das ist entschieden anders, als wenn man bei einem Wettbewerb einen Preis bekommt, ein zweckgebundenes Förderstipendium erhält oder für eine besondere künstlerische Arbeit ausgezeichnet wird. All das ist auch wunderbar und ich bin überaus dankbar für alles, was mir in meinem Leben zugefallen ist, wirklich. Aber dieses Stipendium hat mich in meinem innersten Kern bestärkt und das genau zum richtigen Zeitpunkt. Es macht mir Mut. Und wenn ich etwas brauche in diesen bescheuerten Zeiten, dann das.
FKB: Im Rahmen der Konzertreihe der FKB Stipendiatinnen hast du mit anderen Musiker*innen „Carl träumt“ im Oktober des letzten Jahres aufgeführt. Wie kam es zu diesem Musikprojekt rund um das Träumen?
Barbara: Ich wollte die einmalige Chance nutzen, einen Abend zu kreieren, in welchem Intimität und der Bereich des ganz Privaten in allen Facetten von beispielsweise Schönheit (Schuberts langsamer Satz des Streichquintetts), Spaß am Musikmachen (die Lieder für meine Kinder Carl und Lotta sowie Aischas Tochter Ooona von Aron Torka) aber auch mit allen Abgründen (und immer wieder Schubert) und vielem mehr wie beispielsweise den Kinderkompositionen meines Quartettkollegen Rostislav Kozhevnikov, den aktuellen Kreationen von Chanson Trottoir oder Volksmusik bis und mit jiddischem Partisanenlied künstlerisch ausgelotet wird. Als Tochter eines Psychiaters bot sich mir der Traum als Klischee natürlich an. Aber Träumen ist ja noch viel mehr als Stoff zum Analysieren von inneren Zuständen. Ein persönlicher Traum von mir war und ist nämlich auch das Verbinden von oberflächlich nicht zusammenpassenden Kunstformen, die aber alle in meiner multiplen Persönlichkeit ebenfalls ihren Platz haben: klassisches Streichquartett mit Straßenmusik? Ehemalige Schüler*innen, Laien, autodidakte Musiker*innen und sensibel studierte „Spitzensportler*innen“? Private Texte, wissenschaftliche Texte, Zitate? Alles wurde wild gemischt und performusisch in Szene gesetzt, was besonders in Zeiten von Corona mit all den empfindlichen Regeln und Verordnungen im Grunde von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Dass wir es dennoch angepackt haben und – ganz ehrlich – unter Aufbringung der letzten Kraft, im Schweiße unseres Angesichts und unter Tränen – wenn auch nur für zwanzig Zuschauer*innen in beißender Kälte einen in jeder Hinsicht bewegenden Abend haben bieten können, rechne ich uns allen sehr hoch an. Und mit ALLEN meine ich nicht zuletzt auch die Kunststation Sankt Peter, das Frauenkulturbüro NRW – ganz besonders Frauke Meyer – und die zwanzig Zuschauer*innen am Abend, aber jene, die teilweise von weit her angereist und – weil das Boot voll war – unverrichteter Dinge wieder abgereist sind. Krass. Das. Alles.
FKB: Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf deine künstlerische Arbeit und die Ausübung deines Berufs als Dozentin. Wie sind deine Perspektiven für die Zeit nach Corona?
Barbara: Die Zeit nach Corona ist die Zeit vor Corona scheint mir. Wenn das Hangeln von Impfstoff zu Impfstoff und das „den Mutationen hinterher rennen“ weiterhin so gehandhabt wird wie bisher, also versucht wird, „gegen“ das Virus und nicht „mit“ ihm zu leben, sehe ich dunkelschwarz. Denn in diesem System kommt öffentliche und allen zugängliche Kunst nicht vor, bestenfalls gibt es ein digitales „Erinnern an“ und „Konservieren von“ Kunst, solange bis niemand mehr den Computer einschalten mag, weil ihm die Konserven leid sind.
Besonders Frauen in der Musik bringen ja einen gewissen Erfahrungswert zum Thema „nicht-systemrelevant“ mit. Bedeutende Künstlerinnen bestätigen in der Musik eher die Ausnahme der Regel. Und ich hab mich so gefreut, dass diese Zeiten sich endlich geändert zu haben schienen; der Erfolg von Komponistinnen und Dirigentinnen und und und erfreuen doch das Herz! Dass dabei im Musiksystem unter anderem immer noch nicht gleiche Löhne für alle vorgesehen sind, ist ein anderes, zu weites Feld und in einer Neuen Zeit, wo eh keiner etwas verdient, und ist hier nicht unser Thema. Wir sitzen also ausnahmsweise echt alle im gleichen Boot. Und es gilt kreativ zu sein, um durch dieses für uns alle unbekannte Gewässer gut durchzukommen. Aber ich muss mich weigern, Künstlerinnen und Künstler als nicht systemrelevant zu sehen, denn, wie war das noch mal mit Frederic der Maus und dem harten Winter? Wir alle brauchen mehr als nur Brot für den Körper, um sagen zu können: wir leben.
Ich gebe zu, dass mir das künstlerisch „stille Eingehen“ auch sehr verlockend erscheint. Der Alltag ist so verdammt anstrengend geworden mit ständig neuer Einstellung auf alles, sei es die wieder ausgefallene Kita einerseits und die ständige Reorganisation ALLER künstlerischer Tätigkeit andererseits bis hin zur Unmöglichkeit zu proben, da irgendwie alles grad nicht so recht erlaubt ist. Und es ist nicht so, dass mir der Verstoß gegen Regeln grundsätzlich Spaß macht oder einen Kick gibt, es ist nur so, dass, wer brav sein will, schlicht nix mehr auf die Kette bekommt. Wir dürfen ja selbst als Quartett nicht mehr proben, da meine Räumlichkeiten den geforderten Abstand etc. nicht hergeben und unser kleiner Proberaum erst recht nicht.
Tja, guter Rat ist teuer. Aber ich bin, wie immer, bereit zu investieren.
Es gibt für mich also zurzeit keine Perspektive für die Zeit nach Corona, sondern nur eine mit Corona.
Das Interview führte Heidi Matthias
Bild: Barbara Streil, Foto: Wolfgang Burat