Karin Fehr

Bildende Künstlerin

Karin Fehr, 1962 in Baden-Württemberg geboren, machte nach ihrem Abitur zunächst eine Bildhauerlehre. Von 1985 -90 studierte sie an der Akademie der bildenden Künste München, danach ein Jahr an der Hochschule für künstlerische Gestaltung in Linz, um schließlich ihr dreijähriges Studium an der Hochschule für bildende Künste Hamburg mit Auszeichnung abzuschließen. Karin Fehr lebt und arbeitet seit 1998 in Düsseldorf.

FKB: Karin, du bezeichnest deine aktuelle Arbeit als „Raumzeichnungen“. Was verstehst du darunter?
Karin Fehr: Zeichnung ist für mich das künstlerische Mittel, mit dem ich auf die Vieldimensionalität des Raumes reagieren kann. Natürlich muss ich da die 2. Dimension als erstes sprengen, also die Fläche verlassen. Zuerst waren es die sehr abstrakten Tape-Zeichnungen, die den gesamten dreidimensionalen Raum überzogen. Danach entstanden mehrschichtige netzartige Strukturen, vernäht und im Raum aufgespannt, die ich teilweise auch mit Tuschezeichnungen kombiniere – so werden sie zu Rauminstallationen. Dann gibt es noch die gezeichneten Objekte: Sie wurden ganz langsam, Linie für Linie räumlich-plastisch mit 3D-Stift aufgebaut. Aber egal um welche Technik es sich bei mir handelt, es sind immer lineare, abstrakte Konstrukte also Zeichnungen im Raum.
Raum, Körper, die eigene Natur das sind Themen, die so etwas wie einen Konflikt darstellen. Was hat Raum mit mir und und meiner Natur zu tun? Was ist das überhaupt?
Wir wollen den Raum spürbar machen, verstehen, stoßen dabei aber an unsere Grenzen. Mich interessiert, was uns die Quantenphysik darüber sagt. Raum hat darin eine Erkenntnisnatur. Wir sind durch unsere Wahrnehmung aktiv daran beteiligt, wir sind verkürzt gesagt Schöpfer unserer Welten. Die Grenzen der Materie lösen sich auf, es arbeiten Energie, Dynamik, Resonanz- in Höchstgeschwindigkeit sind sinnenhafte Verknüpfungen möglich. Davon bin ich sehr inspiriert.
Mit der Zeichenlinie bin ich in der Lage auf das Wesentliche auch sehr spontan einzugehen ohne viel Materialaufwand zu betreiben. Ich benutze sie intuitiv und konzeptionell. Intuitiv, wo ich mich mit den Ausdrucksqualitäten, den Energien eines Raumes auseinandersetze und konzeptionell, wo ich durch Gesamtkonzepte/ Rauminstallationen auch Bedeutungsebenen hinterfragen möchte. Die Bedeutung von Form und Ausdruck verschiebt sich ständig, je nachdem, welche Situation ich mit meinen Mitteln herstelle und was von außen als Kontext dazukommt. Ich möchte dem Betrachter einen Zugang zu vielen Deutungsmöglichkeiten geben und etwas von der Offenheit, wie sich Raum für mich darstellt, vermitteln. Auf keinen Fall möchte ich Klischees erfüllen.

 

FKB: Viele deiner Objekte und Zeichnungen muten organisch an, erinnern an Vorbilder aus der Natur. Möchtest du bewusst Assoziationen erzeugen?
Karin Fehr: Bei den großen Tuschzeichnungen sind meine Bildmotive Wachstumsmuster oder -gesten, sind Geäst aus dem Wald entliehen. Die Motive sind jedoch nur vordergründig zu verstehen. Es geht mir nicht um das Abbilden, sondern darum, das Wesenhafte und Abstrakte, das dahinterliegende, innere Prinzip hervorzuheben. Ich möchte mehr auf auf abstrakte Formprinzipien und energetische Prinzipien schauen, für die sie stehen. Gestalterisch führt das zu sehr dynamischen Bildern oder auch strengen Kompositionen, und reduzierten, leer anmutenden Motiven.
Im Waldmotiv finde ich einfach viele formale Grundprinzipien, die ich für meinen konstruktiven Ansatz, den Vernetzungsgedanken nutzen kann. So entstanden die Netzarbeiten INTERWEAVE und COHESION. Durch die Kombination verschiedenster Materialien, aber ähnlicher Formen, entstehen viele Assoziationen und Verknüpfung zu anderen Bedeutungsebenen und Systemen. Für mich ist das auch wie Sprachforschung nur bildnerisch gesehen. Es sind viele Grundformen aus der Biologie oder der Physik zu erkennen. Hinter scheinbarem Chaos findet sich verborgene Ordnung auch Komposition und strenge Proportionen.
Ich arbeite konzeptionell. Dies zeigt sich zB. In der Ausstellung der Künstlerloge Ratingen, wo die einzelnen Zeichnungen zwar Motive von Bäumen darstellen, sich aber in ihrer Aufhängung radikal dem Prinzip der architektonischen Bauweise unterordnen.
Anfangs haben mich überfüllte, komplizierte Motive fasziniert, auch weil unsere Zeit von Bilderflut und Überfrachtung gekennzeichnet ist. Heute sehe ich es als notwendiger an, mit seltsam leeren Bildern eine Suche anzustoßen. Der Wald, die Natur sind auch Orte, die uns drohen verloren zu gehen. Meine neueren Arbeiten, die PU-Objekte werfen daher auch eher die Frage nach Künstlichkeit oder einem natürlichen Ursprung auf, möglicherweise finden sich neue Lebensformen.

 

FKB: Als du damals im Jahre 2001 für das Stipendium „Präsenz vor Ort“ ausgewählt wurdest, war dein Sohn erst einige Monate alt. Hat dir die Förderung ermöglicht, weiter künstlerisch zu arbeiten? Hatte die Förderung eine nachhaltige Wirkung für dich? Was hättest du noch gebraucht?
Karin Fehr: Jede Auszeichnung und Hinwendung ist unendlich wichtig als menschliche und künstlerische Wertschätzung. Ich bin noch heute dankbar für das Stipendium. Es wird dir vermittelt, dass du dran bleiben solltest. Auch als Mutter! Dann hatte ich noch einige Ausstellungen, aber irgendwann musste ich mich einfach mit der Existenzsicherung beschäftigen und hatte deshalb viel zu wenig Zeit für die Weiterentwicklung meiner Arbeit. Ich habe eine komplett neue Berufsausbildung dazwischengeschoben. Innerlich habe ich jedoch nie aufgehört, mich als Künstlerin zu sehen. Aber was es gebraucht hätte, um mich intensiv um meine künstlerische Arbeit und Karriere kümmern zu können, wäre finanzielle Freiheit, eine weitere Unterstützung gewesen, die mir wenigstens für ein weiteres Jahr lang den Rücken frei gehalten hätte.

FKB: Die damaligen Rahmenbedingungen hatten dich als allein erziehende Mutter dazu gezwungen, mit der Kunst zu pausieren. Inzwischen hast du wieder ein eigenes Atelier und betrachtest dich in der Hauptsache als Künstlerin. Wie ist der Neustart?
Karin Fehr: Als ich nach langer Zeit wieder einstieg, war ich zwar inhaltlich sofort wieder am Ball aber mit der Tatsache konfrontiert, dass viele Stipendien auf Grund meines Alters oder meines Jobs jetzt nicht mehr für mich zur Verfügung stehen. Das empfinde ich als unangemessen. Professionelle Arbeit ist nun mal nicht ohne finanzielle Förderungen möglich, sonst bleibt man immer am Brot- und Butterjob hängen..
Heute bin ich jedoch an dem Punkt , den Job drastisch zu reduzieren. Ich stelle wieder aus und mache mich auch nach außen sichtbar. Das war lange Zeit kein Thema für mich. Das Atelier ist unverzichtbar für mich geworden. Das Atelier und meine Widerstandskraft helfen mir auf jeden Fall gerade dran zu bleiben. Ich bin inspiriert und voller Ideen, versuche mich wieder mehr und mehr zu vernetzen, denn ich bin mir sicher, dass ich etwas zu sagen habe. Außerdem scheint mir durch die Pandemiezeit die ganze Welt im Umbruch zu sein. Auch dadurch bin ich herausgefordert, mich zu entscheiden, was für mich im Leben wichtig ist.

FKB: An welchen Projekten arbeitest du aktuell? Hast du Ausstellungspläne?
Karin Fehr: Ausstellungen sind für mich eine wichtige Herausforderung, weil ich für jeden Raum ein neues speziell dafür zugeschnittenen Konzept erstelle. Ein neuer Raum bedeutet eine neue Arbeit für mich. Diese Art des Ausstellens habe ich im eigenen Atelier und in Off-Räumen erprobt und entwickelt, wo ich mir Zeit für den komplizierten Aufbau lassen und Erfahrungen mit verschiedensten Materialien sammeln konnte. Ich bin also immer auf der Suche nach neuen interessanten Räumen für serielle, großformatige Zeicheninstallationen. Dann steht auch noch ein Katalogprojekt an und ich interessiere mich für interdisziplinäre Projekte. Längerfristig würde ich gerne mit  Architekten oder mit Menschen aus der Forschung zusammenkommen, die an Materialentwicklung oder neuen sozialen Lebensformen arbeiten. Menschen, die wirklich an kreativen und ganzheitlichen Prozessen interessiert sind und eine positive, förderliche Einstellung zum Leben haben.
Das Interview führte Heidi Matthias