Agnes Meyer-Brandis

Künstlerin

1973 in Aachen geboren, studierte Agnes Meyer-Brandis zunächst Mineralogie an der TH Aachen, danach Bildhauerei an den Kunstakademien Maastricht und Düsseldorf und Audio Visuelle Medien an der KHM in Köln. Ihre künstlerischen Interventionen, die auf den ersten Blick stark an naturwissenschaftliche Untersuchungen erinnern, werden weltweit ausgestellt und präsentiert.
Agnes Meyer-Brandis erhielt zahlreiche internationale Stipendien und Auszeichnungen, u.a. 2011 den Förderpreis des Künstlerinnenpreises NRW im Bereich Performance. Wenn sie nicht gerade irgendwo in der Welt Forschungsprojekte durchführt, lebt sie in Köln.

FKB: Agnes, kürzlich warst du noch auf einer Walforschungsstation in Finnland. Was hast du dort gemacht?
Agnes: Ich habe dort Kameras im Moor installiert. Seit 2013 arbeite ich als Künstlerin auf verschiedenen Wald- und Klimaforschungsstationen, insbesondere auf der SMEAR* Station in Hyytiälä in Finnland und konnte seither mehrere Projekte realisieren, die sich mit Wolken, Bäumen, Luftpartikeln, Tee und vielem mehr befassen, so. z.B. die Arbeit Teacup Tools. Dieses Jahr starten wir ein neues Langzeitprojekt, welches sich mit Bäumen beschäftigt, die ins Moor hineinwandern. Aufgrund des Klimawandels trocknen die Moore aus, was den Bäumen die Migration ermöglicht. * Station for Measuring Ecosystem Atmosphere Relations

FKB: Warum bist du Künstlerin und nicht Naturwissenschaftlerin geworden?
Agnes: Weil ich die Freiheit der Kunst liebe und für absolut essentiell halte. Sie erlaubt mir, z. B. Unsinniges oder Sinnvolles miteinander zu verknüpfen, um dadurch eigensinnige neue Perspektiven entstehen zu lassen, die wiederum neue Fragen und Erkenntnisse hervorbringen können, aber auch nicht müssen. Ich glaube an Sinnesdaten und an das eigene Erlebnis, an eigene Fragen und an das eigene Denken. Damit könnten man als reine Naturwissenschaftlerin Schwierigkeiten bekommen…

FKB: 2003 hast du das „Institut für Kunst und subjektive Wissenschaft – Forschungsfloß“ gegründet. Welche Untersuchungen gingen von diesem Institut aus und welche Erkenntnisse hat es geliefert?
Agnes: Puh, sehr viele Untersuchungen… und daraus hervorgehende künstlerische Manifestationen! Mittlerweile setzt sich das Forschungsfloß aus mehr als 30 Abteilungen zusammen, strukturiert in unterirdische, irdische und himmlische Abteilungen. Diese Abteilungen versammeln alle z.T. sehr unterschiedliche und miteinander verflochtene Themengruppen oder auch Langzeitprojekte, wie z.B. die „Lunar Migration Bird Facility“, eine Art privates Raumfahrtprogramm, welches der Frage nachgeht, was ist mit den Mondgänsen in 21. Jahrhundert passiert. Es existiert seit 2008, als ich mit dem ersten Moon Goose Experiment in Sibirien im Moment einer totalen Sonnenfinsternis nachging.
Andere Abteilungen wie die „Abtl. für Wanderbäume, Klimawandel und Kletterpflanzen“ und das „Office for Tree Migration (OTM)“ untersuchen die aktuelle Situation der Bäume aus Sicht der Kunst und in Zeiten eines Klimawandels, der schneller vonstatten geht, als es den Wäldern gegeben ist zu wandern und sich neue Territorien zu erschließen. Meine Recherchen legen die Grundlage für poetische oder auch absurde Versuche, den Bäumen das Laufen beizubringen. In diesem Zusammenhang entwickelt die „Abteilung für Duftkommunikation und flüchtige Botenstoffe“ baumspezifische Parfüms, die sogenannten „One Tree ID´s“ zur biochemischen Kommunikation zwischen Menschen und Bäumen usw. Und so könnte ich jetzt zu jeder dieser Abteilungen sehr viel erzählen,…
Unabhängig jedoch von dem spezifischen Projekt oder Experiment erscheint es mir wichtig festzuhalten, dass das Institut keine Antworten gibt, sondern Fragen stellt. Es ist eine künstlerische Wirklichkeitsforschung an den Rändern des Fassbaren, dort wo wir die Welt nicht mehr mit unseren eigenen Sinnen erfahren können und sie nur mithilfe von Technologie erforschen können. Genau an diesem Punkt beginnt die Konstruktion von Welt mit interessanten Löchern und Lücken, subjektiven und objektiven Momenten, die ich als Künstlerin mit eigenen Methoden und Tools abtaste. Dabei entstehen neue Fragen, die wiederum andere Fragen in Frage stellen.

FKB: Deine Experimente sind sehr komplex und deine Untersuchungen laufen nicht selten über einen längeren Zeitraum. So hast du z.B. bei „Moon Goose“ eine Gruppe von 11 Gänseküken aufgezogen, sie verhaltensbiologisch auf dich geprägt, um sie schließlich mit einem Astronauten-Training auf eine Exkursion zum Mond vorzubereiten. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion sind also fließend. Spielt der Humor auch eine tragende Rolle in deiner Kunst?
Agnes: Der Humor war und ist schon immer in meinen Arbeiten dabei, als Teil meiner Natur, ob ich will oder nicht. Es ist eine Einstellung, die selbst meine Position relativiert.

FKB: Agnes, du bist ständig in der Welt unterwegs. In diesem Jahr hast du mit deinen Werken an Ausstellungen in Mexiko, Russland, Dänemark und der Schweiz teilgenommen. Hast du den Eindruck, dass existentielle Themen wie Klimawandel, Artensterben oder Naturzerstörung stärker in den Fokus der Kunst gerückt sind?
Agnes: Ich würde sagen, stärker in den Fokus der Gesellschaft und natürlich auch in der Kunst. Es betrifft uns alle. Klimawandel kennt keine Landesgrenzen oder Berufsgruppen.

FKB: An welchen Projekten arbeitest du gerade? In welchen Teilen der Welt wirst du welche Arbeiten demnächst ausstellen?
Agnes: Also das Projekt „One Tree ID“ wird weiter wachsen und ich werde Bäume an verschiedenen Orten z.B. kommendes Jahr in Ljubljana Slovenien, Zagreb Kroatien und Berlin vermessen, man kann es hier auf der Webseite verfolgen und sich – Achtung jetzt kommt der Werbeblock – dort auch eigenes „One Tree ID Kit“ bestellen. Das „Office for Tree Migration“ wird im kommenden Jahr viel in Finnland beschäftigt sein und die Baum Migration im finnischen Moor zu erforschen – wahrscheinlich wird es hierzu auch eine Webseite geben, wo man manche der Kameras im Lifestream verfolgen kann. Das macht Sinn, denn Baummigration ist eine sehr langsame Angelegenheit. Mit dem bloßen Auge kann man sie nicht unbedingt erkennen, aber im Laufe der Zeit mag man sich wundern, warum der Baum nicht mehr hier, sondern da steht. Zudem fange ich an, eine eigenen unabhängige Wald- und Forschungsstation in Brandenburg aufzubauen.

Bild: Agnes Meyer-Brandis, 26.9.2021, Foto: Ulla Taipale; Das Interview führte Heidi Matthias