Alisa Berger verbrachte im Herbst 2017 im Rahmen des Internationalen Austauschprogramms des FKBs zwei Monate in Georgien und Armenien.
FKB: Was waren deine Beweggründe, dich ausgerechnet für dieses Stipendium in Georgien und Armenien zu bewerben?
Alisa: Der Kaukasus mit all seinen Mythen, Pilgerorten, malerischen Landschaften, historischen Kriegen, unterschiedlichen Ethnien und sowjetischen Brachen ist für mich ein besonderer Inspirationsort.
In meiner Heimatstadt Lviv gab es eine armenische Kathedrale, die ich sehr gern besucht habe. Es war ein kleines katholisches Gotteshaus ohne Ikonen, nur mit mystisch anmutenden Wandmalereien, auf dem Boden ein gigantischer Perserteppich. Die Wandmalerei zeigte die Bestattung eines Heiligen, der von seltsamen weißen Linien, Silhoutten von Geistern, umgeben war. Ich erinnere mich noch gut an diese Malerei, an den Perserteppich in dem Gotteshaus; diese Vorstellung von Armenien prägte sich mir ein.
Ich bin geboren in Machatschkala, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Dagestan im Kaukasus an der Grenze zu Georgien und Armenien. Leider hat meine Familie diesen Ort direkt nach meiner Geburt verlassen. Doch vieles Kaukasische wie gewisse Gerichte, Manieren oder die Liebe zu folklorischer Ästhetik aus dieser Region sind meiner Familie erhalten geblieben. All diese kleinen Eindrücke und Gedanken haben mein Interesse, den glühenden Wunsch dort zu leben und die Essenz dieses Kaukasus zu verstehen, sehr vorantrieben.
FKB: Wie hast du deinen Aufenthalt gestaltet? Bist du viel gereist? Hast du künstlerisch arbeiten können?
Alisa: Ich bin sehr viel gereist und habe jeden Tag dazu genutzt, etwas Neues zu entdecken und künstlerisch zu arbeiten. Vor allem in Tbilisi hat sich die Wohnung gut angeboten zum Arbeiten. Dadurch, dass es insgesamt drei Zimmer gab, habe ich mir einen Raum zum Schreiben, einen zum Malen und Installieren aufgebaut und den dritten zum Essen, Rauchen, Entspannen.
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FKB: Wie hast du die Menschen, die Kunst- und Kulturlandschaft in Georgien und Armenien empfunden? Wo siehst du die deutlichsten Unterschiede zwischen den beiden Ländern?
Alisa: In Georgien scheint alles zugänglich. Besonders fasziniert hat mich die Courage, mit der hier Dinge von der jungen Künstler*innengeneration selbst in die Hand genommen werden. Ausstellungen, Konzerte, Festivals, der informelle Master des CCA (Center of Contemporary Art in Tbilisi), der jungen Künstlerinnen und Künstlern die zeitgenössischen Kunstströmungen zeigt und Tools in die Hand gibt, mit denen sie selbst Kunst machen und Finanzierungswege finden können. Die Gelder kommen größtenteils von privaten Sponsoren, deren Interesse für Kultur und Kunst durch die Szene geprägt wird. Die institutionellen Gelder fließen eher aus anderen Ländern wie Deutschland und der Schweiz und ermöglichen Unglaubliches, wie das Contemporary Dance Festival, wo ich das neue Stück von Jeremy Bell sehen durfte, oder die CCA Triennale und die Tavidan Ausstellung, die in der Stadt nachhaltig besprochen wurden. Die Art, mit der hier Festivals oder Ausstellungen, ja die Neueröffnung einer neuen Kunsthalle etc. in die Hand genommen werden, ist inspirierend und vorbildlich. Trotzdem blieb es mir oft ein Rätsel, von welchem Geld die Leute leben und einander frei nach ihrer georgischen Art zum Trinken und Essen einladen, ohne dem Gast irgendeine finanzielle Not spürbar werden zu lassen.
In Armenien hatte ich zu wenig Zeit, einen tieferen Eindruck zu gewinnen. Interesse an Kunst und deren Finanzierung kommen hier eher aus Russland. Die Armenische Kunstszene leidet darunter, dass dabei Klischees erwartet werden. Verwunderung entsteht, wenn kein Maler noch Granatäpfel malt oder Performancekünstler*innen mit Lavash Brot arbeiten.
Gleichzeitig scheint die armenische Diaspora die dortige Kulturszene unterstützen zu wollen. Allerdings tut sie dies, indem sie armenische Künstlerinnen und Künstler aus dem Ausland importiert, was die bestehende lokale Kunstszene nicht gerade stärkt.
Trotz der schwierigen Bedingungen gibt es inspirierende Künstlerinnen und Cineasten, deren Kunstverständnis – obwohl absolut zeitgenössisch geprägt – durchzogen ist von poetischen, existenzialistischen Fragestellungen oder Spiritualität. Die dortige Kunstszene ist wie ein verwinkeltes Labyrinth, in dem man immer wieder Neues entdeckt. Leider musste ich früher als geplant abreisen und habe nur an der Oberfläche gekratzt.
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FKB: Gab es Situationen, die dich besonders herausgefordert haben?
Alisa: Nein. Mein Vater, Boris Berger, starb während ich in Armenien war. Das bleibt weiterhin eine Herausforderung.
FKB: Welche Begegnung oder welches Erlebnis wird dir nachhaltig in Erinnerung bleiben?
Alisa: Die Sowjetische Schriftsteller Residenz, die wie ein Floß gebaut wurde, aber viel höher über dem Wasserspiegel des Sevan Sees liegt. Die russischen Architekten und Wissenschaftler hatten sich offenbar verschätzt, wie hoch der Sevan steigen wird. Diese Floßartige Architektur erscheint wie ein durchgeknalltes Raumschiff aus sozialistischen Science Fiction Träumen.
Meine neuen warmen Freundschaften mit den georgischen Künstler*innen Andro Eradze, Tamar Chaduneli, Gvantsa Jishkariani und meine Begegnungen mit der armenischen Künstlerin Gohar Martisorian und der Kuratorin Eva Khachatryan.
Der Tod meines Vaters.
Der Besuch einer, auf einem Spielplatz versteckten alten Kirche in Yerewan, umstellt von Plattenbauten.
FKB: Wird dein Aufenthalt in Georgien und Armenien Auswirkungen auf deine zukünftige künstlerische Arbeit haben?
Alisa: Auf jeden Fall. Ich möchte in Zukunft gern sowohl in Georgien als auch in Armenien wieder längere Zeit verbringen, dort leben und künstlerisch aktiv sein. Bis sich diese Situation ergibt, möchte ich weiter mit den dort geknüpften Kontakten interessante Projekte entwickeln.
Das Interview führte Heidi Matthias
Alisa Berger (*1987 in Machatschkala/Dagestan/Russland) ist eine deutsche Künstlerin mit nordkoreanischen und jüdischen Wurzeln. Alisa schloss 2016 ihr Studium an der KHM Köln ab. Sie arbeitet in den Bereichen Film, Videokunst, Expanded Cinema und audiovisuelle Performance. Sie ist Teil des Performanceduos „bergernissen“ und kuratiert seit 2016 das Videokunst- und Filmprogramm, sowie das audiovisuelle Performance-Programm der Messe für Gegenwartskunst FAR OFF.