Evelyn Buyken, Stipendiatin des Programms „Präsenz vor Ort“ 2018
Die Cellistin und Musikwissenschaftlerin absolvierte zunächst das Studium der Schulmusik und der Germanistik an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, am Conservatorio di Musica Santa Cecilia in Rom und an der Universität zu Köln, 1. Staatsexamen 2010. Darauf folgte der künstlerische Diplomstudiengang Viola da Gamba und Barockvioloncello (Diplom 2012) und die Promotion zum Dr. phil. (2016). Sie ist Gründerin des Cölner Barockorchesters, konzertierende Cellistin im In- und Ausland und arbeitet als Dozentin an der HfMT Köln und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Musikwissenschaftl. Institut der Universität zu Köln.
FKB: Evelyn, du machst nicht nur Musik, sondern arbeitest auch als Dozentin an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln und hast auch noch drei Kinder. Wie sieht dein Arbeitsalltag aus und wie bekommst du das alles zusammen?
Evelyn: Mein Arbeitsalltag stellt wie für alle arbeitenden Eltern jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung dar. Ist das Kind krank oder gesund? Wie klappt der Abschied in die Schule oder in den Kindergarten? All diese Aspekte bestimmen und beeinflussen das Arbeiten sehr. Soll heißen, meine Arbeit und meine Aufgaben als Mutter sind auf Engste miteinander verbunden. Das ist manchmal kraftzehrend, manchmal aber umso schöner, wenn beide Bereiche gerade „laufen“ oder wenn die Synergien spürbar werden. Verantwortung übernehmen, klare Position beziehen, pragmatische Entscheidungen treffen, Rücksicht nehmen – das sind Fähigkeiten, die ich als sehr entscheidend wahrnehme, sowohl in der Familie als auch als Musikerin, Dozentin und Wissenschaftlerin. Selbstverständlich kann man diesen Balanceakt nicht alleine verantworten. Ohne einen Partner, der sich ebenso involviert fühlt und sich einsetzt, kann das Zweiverdiener-Familien-Modell nicht funktionieren.
FKB: Seit wann bist du Mutter? Welche Einschränkungen gibt es seit Geburt deiner Kinder bei der Ausübung deines Berufs? Welche Unterstützung gibt es für dich?
Evelyn: Seit Mai 2012. Ich möchte nicht ausschließlich von Einschränkungen sprechen, jedoch auch nichts beschönigen oder verharmlosen. Kinder zu haben bedeutet einen unglaublichen Zugewinn an Lebensfreude, Energie und Glück und beinhaltet ebenso die Aufforderung zum strukturierten, sinnvollen Zeitmanagement. Ich wäre nicht die Musikerin und nicht die Wissenschaftlerin ohne meine Kinder. Aber da es auch um Einschränkungen gehen (soll): Ja, die gab und gibt es auch. Ich denke, an den unglaublichen Druck, der auf Musikerinnen gerade im freiberuflichen Kontext lastet: Verrückte Arbeitszeiten, keine festen Arbeitsbedingungen, viele Reisen. Irgendwie möchte man dann doch so viel „leisten“, so viel spielen, so viel schaffen, wie diejenigen, die keine Kinder haben. Aber de facto geht das nicht: Vertieftes unbeschwertes Üben, Ich-Zeit, Selbstfürsorge… diese Faktoren kommen oft zu kurz. Den Leistungsdruck explizit zu thematisieren und Systeme zu schaffen, wie Eltern wirklich (!) und ohne implizite Erwartungen in Teilzeit oder mit Arbeitspausen arbeiten können, halte ich für unglaublich wichtig.
FKB: Wie konntest du das einjährige Stipendium des Programms „Präsenz vor Ort“ für deine Karriere nutzen?
Evelyn: Ich habe es sowohl für die Finanzierung von Betreuungspersonen genutzt als auch für den Aufbau meines neuen künstlerisch-forschenden Projektes zum emotionalen Körperwissen von Musikerinnen und Musikern. Im März 2019 startet bereits das zweite „Labor“-Konzert meines Orchesters, in dem ich selbst spiele, aber auch forsche. Mein Ziel ist es, die Reflexion, Selbsterfahrung und das subjektive sinnliche Erleben während des Musikmachens selbst zum Thema meiner neuen Forschungen zu machen. Das Thema „Künstlerische Forschung“ ist in Deutschland momentan stark im Kommen. Viele Hochschulen und Orchester öffnen sich, und möchten vertiefte interdisziplinäre Zugänge zum Verständnis von Kunstschaffenden anbieten. Das möchte ich auch. Und da fange ich bei mir als Musikerin an und bei meinem Orchester. Diese musikalische Erfahrungspraxis transformiere ich dann zu einer Forschungspraxis, gebe Seminare und veröffentliche. Dies wiederum verändert mich und meine musikalische Praxis als Cellistin. Ich empfinde dies als unglaublich bereichernd. Ohne die finanzielle Unterstützung von „Präsenz vor Ort“ hätte ich dies nicht geschafft.
FKB: Wie sieht es für dich mit Auftrittsmöglichkeit, Honorare und Konkurrenz im klassischen Musikgeschäft aus, bzw. haben Frauen die gleichen Möglichkeiten und Chancen wie ihre männlichen Kollegen ?
Evelyn: Keine leichte Frage. Denn mit Blick auf den freiberuflichen Arbeitsmarkt in der Musikkultur gibt es kaum Studien dazu (oder sie sind mir nicht bekannt!;-) Das Musikmachen an sich empfinde ich persönlich als gleichberechtigten Raum, der nur davon profitiert, dass ein bunter Haufen an Menschen und Individuen zusammen agiert. Da zählt die Empathie nicht das (kulturelle) Geschlecht! Ganz anders im Wissenschaftsbetrieb: Wirkliche Gleichberechtigung wird zwar überall angestrebt und ich honoriere und unterstütze Angebote dieser Art sehr. Tatsächlich herrscht aber in vielen Bereichen und auf vielen Ebenen eine implizite, „versteckte“ Chancenungleichheit. Das betrifft die Haltung gegenüber dem, was berufstätige Eltern leisten, zu welchen Arbeitszeiten sie verfügbar sein können und aber doch eigentlich müssen, wie viele Konzerte, wie viele Publikationen im Lebenslauf stehen etc. Meiner Meinung nach ist meine Generation diejenige, die eine umfassende Chancengleichheit erst aushandelt oder dies zumindest versucht. Viele Strukturen, im Orchestermanagement, in Hochschulen oder in Universitäten sind weiterhin männlich-patriarchalisch besetzt – und dass nicht, weil entsprechende Positionen von Männern bekleidet werden. Sondern weil oft noch diejenigen Werte, wie z.B. Quantität an abrufbaren Leistungen wie Konzerte, Projekte, Publikationen oder das ständige Verfügbarsein zu allen Uhrzeiten, für den Erfolg entscheidend sind. Diese Werte sind männlich konnotiert, sind mit männliche Rollenbildern verknüpft. Da liegt weiterhin viel Arbeit vor uns. Und eine Bemerkung zum Schluss: Wenn rechtspopulistische Parteien Forschungen zum Thema Gender und zur Chancengleicheit von Frauen und Männern als scheinbar „gefährlich“ für den Erhalt unserer Gesellschaft ansehen, dann sind wir alle dazu aufgefordert, unsere Stimme zu erheben. Und kaum eine Stimme ist schöner, als die der Musik selbst. Es ist also unsere Aufgabe als Musiker*innen für unterschiedliche Lebensbedürfnisse und -konzepte zu sensibilisieren. Großartig, dass das Stipendium „Präsenz vor Ort“ genau an diesem Punkt ansetzt. Vielen Dank für das gewährte Vertrauen!
Das Interview führte Heidi Matthias