Katharina Mayer

Künstlerin

1958 in Rottweil geboren, studierte Katharina Mayer von 1982 bis 1987 Kunstgeschichte in Freiburg im Breisgau, im Anschluss daran bis 1992 Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Bernd Becher und Video bei Prof. Nan Hoover. Sie war Mitbegründerin des Künstlervereins onomato und der Schule für künstlerische Fotografie in Düsseldorf. Seit 2012 ist sie Professorin für Fotografie an der University of Europe in Berlin. Für ihre künstlerische Arbeit, die in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen präsentiert wurden, erhielt sie verschiedene Auszeichnungen und Stipendien. Ihre Werke sind in internationalen Kunstsammlungen vertreten. Katharina Mayer lebt und arbeitet in Düsseldorf und Berlin.

FKB: Katharina, viele deiner Arbeiten sind mit einer Art inszenierter Fotografie gleichzusetzen, in der das Portrait eine wesentliche Rolle spielt. Warum ist der Mensch immer der Ausgangspunkt deiner Arbeit?
Katharina: Weil ich ein Mensch bin und in einer großen Familie mit 4 Geschwistern aufgewachsen bin. Mein Vater war als Amtsarzt mit Menschen und Projekten wie z.B. dem Aufbau einer Werkstatt für geistig und körperlich behinderte Menschen beschäftigt. Meine Mutter war Fotografin, hat ihre Tätigkeit mit einer Fotolehre begonnen und war später in der Kleinstadt in Süddeutschland, in der wir lebten, Theaterfotografin. Sie hat wunderschöne Aufnahmen der Stücke gemacht und auch Portraits der Schauspielerinnen und Schauspieler. Ich glaube, diese Erfahrungen haben sich in mir eingeprägt. Außerdem hatte ich einen tollen Kunstlehrer in der Abiturklasse. Romuald Hengstler war ein begnadeter Zeichner und hat sehr viel geraucht. Meine letzte Aufgabe war es, ein Portrait zu zeichnen und ich habe das meiner Schwester gezeichnet im Profil mit vielen kleinen Strichen. Er war begeistert und brachte in der nächsten Stunde ein Buch mit Renaissance Portraits mit, die er mit meiner Zeichnung verglich. Ich saugte diese Bilder ein und seither liebe ich es, mir alte Portraits in Museen anzuschauen. Das heißt, meine Arbeit mit Menschen hat mit den Jahren tiefere und detailliertere Aspekte bekommen und immer wieder Fragen aufgeworfen: Was bedeutet Frau sein? Was macht den Menschen aus? Was bedeutet Verhüllung? Woran kann ich die Haltung eines Menschen im Bild sehen? Gibt es Ur-Szenen des Menschseins? Was ist der Mensch in der einen und in der anderen Situation und/ oder in der Gesellschaft?

 

FKB: Die Fotografie ist nur ein Bereich deines künstlerisches Spektrums. Du zeichnest, machst Filme und Performances und das oft mit anderen (Künstler*innen) zusammen. Würdest du die Entstehung deiner (partizipatorischen) Projekte an einem Beispiel erläutern?
Katharina: Zur Zeit arbeite ich zusammen mit einem temporären Ensemble an einem neuen Stück im Rahmen von „Stimme im Experiment“, einem Format, welches ich vor drei Jahren entwickelt habe, weil für mich die Stimme im einfachen und erweiterten Sinn eine Hauptrolle spielt. Die Idee für dieses Stück entstand im November 2021, als ich in Israel war. Meine Freundin Ingrid Bachér sagte: „Schreib, du musst alles aufschreiben, was du fühlst und denkst. Das habe ich gemacht und es entstand ein Text in Israel über das, was ich dort erlebte und was sich verwoben hat mit den internationalen Krisen. Als ich zurückkam, war die Idee entstanden für das Stück „ War – Crescendo“, weil ich bemerkte, welche Rolle Eskalation und Deeskalation auf so vielen Ebenen meines inneren und äußeren Lebens spielt. Das Stück entwickelte sich dann zusammen mit Ingrid Bachér, die als über 90-Jährige einen Text schrieb über ihre Erfahrungen mit dem Krieg, und zusammen mit Laura Görner, einer ehemaligen Studentin von mir, gerade 23 Jahre alt, die auch einen Text schrieb. D.h. drei Generationen verwebten ihre Erlebnisse in einem Text. Zusammen mit dem Komponisten Uli Johannes Kieckbusch, dem Schlagzeuger Günter Babysommer und dem Gitarristen Rolf Springer haben wir nun die Choreografie des Stückes entwickelt. Im Dialog. Im Prozess. Vielleicht sind das die entscheidenden Begriffe für meine Lust am partizipativen Arbeiten. Das Stück wird am 29.10. im KUH. in Düsseldorf uraufgeführt.

 

FKB: Es ist schon 18 Jahre her, als du Stipendiatin des FKB-Projekts Präsenz vor Ort warst. Wie war das für dich? Was hat dir diese einjährige Förderung für Künstlerinnen mit Kindern damals ermöglicht?
Katharina: Es hat mir ermöglicht, dass ich weitermachen konnte. Aber um ehrlich zu sein, das hätte ich auch ohne Stipendium. Das Besondere an diesem und anderen Stipendien ist die Wertschätzung. Ich habe so viel Kämpfe erlebt und auch Verachtung den Künstlerinnen und Künstlern gegenüber, dass dies das Wichtigste war. Und ich finde es nach wie vor die größte Wertschätzung, dass dieses Stipendium mit keinerlei Druck und Forderungen verbunden war. Nicht viele Menschen begreifen, wie wichtig es ist, nicht nur als Künstlerin und Künstler ohne Druck zu arbeiten. Es war also auch die Sichtbarmachung und für kurze Zeit Ermöglichung eines idealen Zustandes, der durchaus auch immer wieder zur Realität werden kann und wurde, z.B. nach dem Verkauf einer größere Arbeit.
Das Frauenkulturbüro hat für mich mit den Mitarbeiterinnen immer eine besondere Stellung gehabt. Weil es sich eben doppelt einsetzt: Für das Kunst–Dasein und für die Rechte der Künstlerinnen.

FKB: Seit 2016 bist du Vorstandsvorsitzende von Fiftyfifty Düsseldorf. Was hat dich dazu bewogen, als Künstlerin den Vorsitz eines gemeinnützigen Vereins zur Unterstützung von Obdachlosen zu übernehmen?
Katharina: Nachdem ich vor ca. 15 Jahren Fiftyfifty und vor allem die Arbeit von Hubert Ostendorf und seinem Team kennengelernt hatte, sah ich mich gerade in Düsseldorf in einem Umfeld, in dem ich authentisch wirken konnte mit meiner Kunst, meiner Lust am partizipativen Arbeiten z.B. mit Obdachlosen und in einem Team, was vorbildlich ist für kollegiales Zusammenarbeiten. Die Thematik der Obdachlosigkeit und Armut hat mich immer schon beschäftigt, auch, weil ich finde, dass das Künstlerdasein dem Thema sehr nahe steht. Man denke an die vielen historischen Bettelbriefe von Künstlern und die Verarmung. Insofern war ich zutiefst gerührt, als Hubert Ostendorf mich 2016 fragte, ob ich Vorstandsvorsitzende werden möchte. Auch dies war eine der größten Wertschätzungen, die ich in meinem Leben erfahren habe. Und es bringt mich weiter.

FKB: Du kannst auf eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Projekten zurückschauen. Dieses Jahr wird dein Langzeitprojekt Familia 20 Jahre alt.
Woran arbeitest du gerade und was sind perspektivisch deine nächsten „Motive“?
Katharina: Gerade heute ist mein Tisch besonders voll mit Bildern, Büchern und Motiven und ich frage mich: Wie geht es weiter? Was möchte ich weitergeben, wenn ich nicht mehr lebe? Und heute früh habe ich ein Portrait gemacht eines ehemaligen Obdachlosen in seiner neuen Wohnung. Auf dem Weg zu ihm hatte ich die Idee, diesen Menschen einen wichtigen Satz sprechen zu lassen. Aber ich kam davon ab, weil ich dachte es muss etwas sein, was nicht von außen gefragt wird, sondern was seine Handschrift zeigt. So zeichnete er mit Hingabe seinen Namen auf ein Stück Papier und ich filmte es und liebe das Geräusch, das der Stift beim Schreiben macht. Und so ist es mit vielen „Motiven“, denen ich auch in meinen Träumen begegne, so wie sie mich suchen.
20 Jahre lang haben mich immer wieder Familien interessiert und die Bilder, die ich von ihnen machen durfte. Das Faszinierende ist doch, dass es ein so altes Genre ist. So lange schon gibt es Familien und Nicht-Familien und Familien mit Lücken und Überlebende von Familien. Und so ist es wie ein Familienteppich, der sich über alle Zeiten und überall weiterweben lässt. Die Zusammenkunft, die Communio, ist etwas unglaublich Verbindendes und es legt das Fundament für Erinnerungen, ohne die wir nicht existieren können. So ist meine Arbeit das „Gastmahl der Freunde“ das Familienportrait, was am weitesten vom aktuellen Stand des westlichen Familienbildes abweicht. 12 Obdachlose, ein chinesischer Koch und ein Hund befinden sich im Refektorium eines Klosters. So ist mein Tun, meine Kunst. Ich verliere mich in der Welt und in meinen Träumen, um am Ende meinen Namen singen, zeichnen und schweigen zu können.
Das Interview führte Heidi Matthias

Bild: Katharina Mayer, Foto: Yvonne Ploenes