Sibylle Feucht

Stipendiatin des Internationalen Austauschs 2019

Nach einem Studium am Biozentrum Basel und an der University of California, Los Angeles (Diplomarbeit in Biologie), begann Sibylle Feucht an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich ihr Kunststudium, das sie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel mit dem Master in Design | Art + Innovation abschloss. Seit 2010 lebt und arbeitet sie in Bonn; dort betreibt sie u. a. den Kunstraum Das Esszimmer.
Im Herbst 2019 verbrachte Sibylle Feucht im Rahmen des internationalen Austauschprogramms des Frauenkulturbüros zwei Monate in Armenien und Georgien.

FKB: Sibylle, kannst du uns kurz beschreiben, wie dein Aufenthalt in den beiden Gastländern aussah? Wie hast du dich orientiert? Wie waren deine Tage gefüllt?

Sibylle: Vor meiner Anreise habe ich ganz bewusst darauf verzichtet, mich via Online-Recherche schon all zu sehr in die beiden Länder Armenien und Georgien zu „vertiefen“. Stattdessen wollte ich mit all meinem Nichtwissen und meinen Vorurteilen auf die Realität vor Ort treffen. Am Anfang stand jeweils das sich organisieren, eingewöhnen und irgendwie heimisch machen. Dazu gehörte sich in der jeweiligen Wohnsituation zurecht zu finden, umliegende Lebensmittelgeschäfte und/oder Märkte zu erkunden, die Transportwege und -möglichkeiten zu testen. Bei all dem waren die lokalen Ansprechpersonen (Eva Khachatryan in Yerevan und Ninutsa Shatberashvili in Tbilisi) von ganz zentraler Bedeutung, um diesen Prozess zu beschleunigen. Ganz konkret musste ich in Yerevan in den ersten Tagen eine Matratze organisieren, da das was im angemieteten Appartement zur Verfügung gestellt wurde, sich anfühlte, als wenn ich auf einem Holzbrett schlafen würde und die ersten Nächte daher wenig Schlaf und Knochenschmerzen brachten. Dies brachte mich schnell und direkt in eine ganz andere Art der Warenwelt und des Einkaufens, wo eine einfache Matratze im Vergleich teuer ist, da viele Armenier auf traditionell und meist selbst hergestellten Erzeugnissen schlafen, so wie dies auch hier in Mitteleuropa bis vor nicht allzu langer Zeit üblich war.

 

Die geographische Orientierung erfolgte dann via Stadtkarte(n), analogen und digitalen, orientierte sich an den Empfehlungen der Kontaktpersonen und Personen, die ich über die Zeit kennenlernte. Dieses sich langsame Vortasten in Kombination mit gezielten Recherchen definierte letztendlich die jeweiligen Tagesprogramme.
In Yerevan konzentrierte ich mich während meines Aufenthaltes primär auf die Stadt, da ich zum Ende des ersten Monats Besuch von meinem Mann erhielt und wir dann mit einem Mietauto gemeinsam zunächst in vier Tagen Armenien erkundeten und dann via Gjumri nach Batumi (Georgien) und von dort nach Tbilisi reisten. In meiner Zeit in Tbilisi hatte ich dann einerseits die Gelegenheit Ninutsa während eines Projektes, an dem sie in Nikozi teilnahm, zu besuchen, was aufgrund der direkten Lage an der Südossetischen Grenze für mich sehr spannend war und einen Bogen schlug zu meinen Aufenthalten in den ukrainischen Konfliktregionen in 2018 und 2019. Auf dem Weg nach Nikozi konnte ich auch einen Stop in Gori machen, der Geburtsstadt von Stalin, die eine gewisse Berühmtheit in diesem Kontext hat – zumindest unter Touristen. Grundsätzlich habe ich sowohl in Yerevan als auch in Tbilisi viel Zeit in den städtischen Peripherien mit ihren Microdistricts verbracht und recherchiert. Alleine oder teilweise auch in Begleitung ortsansässiger Personen.

FKB: Wie war die Betreuung vor Ort und die Anbindung an die Kunstszene?

Sibylle: Die Betreuung vor Ort, sowohl in Yerevan als auch Tbilisi, war sehr umsichtig und professionell. Sowohl Eva als auch Ninutsa waren sehr bemüht, die erste Orientierung zu erleichtern und in der Folge Tipps und Empfehlungen zu geben bezüglich meiner persönlichen Interessen. Insbesondere das aktive Hinweisen und Einladen zu Ausstellungseröffnungen etc. war sehr hilfreich und in der Folge auch das Bekanntmachen und Kennenlernen von lokalen Akteurinnen der Kultur- und Kunstszene. So hatte ich die Gelegenheit, in Yerevan im Rahmen einer Ausstellung im Architekturmuseum und einer Führung durch einen der Kuratoren, die Leiterin des Goethe Institutes in Yerevan kennen zu lernen. In Tbilisi vermittelte mir Ninutsa den Kontakt zur Leiterin des Silk Museum in Tbilisi, in dessen Räumlichkeiten ich fotografieren durfte und Irina Kurtishvili, Künstlerin und Kuratorin, vermittelte mir nicht nur den Kontakt zum Leiter des Literaturmuseums in Tbilisi, wo ich ebenfalls fotografieren durfte, sondern gab mir auch eine sehr aufschlussreiche, persönliche Führung durch den ehemals von deutschen Siedlern geprägten Stadtteil in Tbilisi. 

 

FKB: Gibt es Themen, die die Künstlerschaft in den Gastländern besonders beschäftigt? 

Sibylle: Aufgrund der vielen Gespräche in Yerevan und Tbilisi konnte ich nachvollziehen, dass die KünstlerInnen beider Länder sehr unglücklich über die Ausbildungssituation für KünstlerInnen sind. In Yerevan orientiert sich die Kunstakademie offenbar nicht an den aktuellen Bewegungen sondern verharrt in den klassischen Kategorien und Denkmustern, was primär mit den Lehrenden in Verbindung gebracht wird, die an ihren Stellen festhalten (aus nachvollziehbaren Gründen) und sich gegen Veränderungen und Neues, das ihre Positionen gefährden würde, stemmen. Analog sieht es in Tbilisi aus, nur gibt es dort eine neu gegründete, private Kunsthochschule, die Studiengebühren kostet. In Yerevan ist zudem die Möglichkeit auszustellen auf wenige Orte begrenzt, die teilweise auch kein gutes Renomee unter den Künstlern haben. Das ist in Tbilisi weit besser, da es eine Reihe von alternativen Ausstellungsräumen gibt, die eine Kunst-Szene spürbar werden lassen, die in Yerevan aufgrund der mangelnden Örtlichkeiten weniger stark öffentlich wahrnehmbar ist. Mein persönlicher Eindruck war, dass die AkteurInnen in Yerevan wesentlich kritischer gegenüber dem Kunstbetrieb an sich sind und dem was sie vom Kunstbetrieb in Europa erlebt haben. In Tbilisi gab es diesbezüglich – aus meiner Sicht – weniger kritische Äußerungen und der Transfer zwischen Europa, USA und Georgien scheint nichts Außergewöhnliches zu sein, sondern entspricht eher dem normalen Kunstalltag. 

 

 

FKB: Hat dich die Zeit in Armenien und Georgien zu künstlerischer Arbeit inspiriert?

Sibylle: Sowohl in Yerevan als auch Tbilisi habe ich primär gesammelt und recherchiert: Fotos, Videomaterial, oral transportierte Narrative, Texte, Artikel, Eindrücke und natürlich auch Kontakte. Daraus werden wohl über die Zeit eine Reihe von neuen Arbeiten entstehen, die ich aktuell fotografisch und/oder installativ sowie als Video verorte. – Vor der „Verarbeitung“ muss allerdings bei mir zunächst noch eine Verdauungsphase, ein Sichten und Ordnen von all dem seinen Platz finden. – Die letztendlich doch kurze Zeit an zwei Orten, zwei Ländern mit ähnlicher Geschichte und doch sehr unterschiedlichen Gegebenheiten hat mir für dieses Verarbeiten keinen Raum gelassen. 

FKB: Welche waren deine prägnantesten Eindrücke während deiner Reise?  

Sibylle: Yerevan, mit seinen rosa-farbenen Tuffstein Gebäuden aus der Stalin Zeit, wo alles so vertraut war, weil es genauso aussah, wie der Yerevan District in Slavutych (Ukraine) wo ich mich 2018 im Rahmen einer Residency aufhielt.
Die einzige Straße in den Süden Armeniens und Verbindung in den Iran mit den unzähligen iranischen Tanklastzügen und der plötzlichen Erkenntnis in weiteren 2 Stunden im Iran zu sein. – Dem Iran, der von Bonn aus so weit weg erscheint…plötzlich so nah.
Die Übernachtung in der Writers Residency am Lake Sevan, das Abendessen im dortigen Speisesaal bei Sonnenuntergang mit Blick auf den See und das Gefühl dieses Glück mit all den SchriftstellerInnen, die hier schon waren, zu teilen.
Die Einreise nach Georgien, von Gjumri kommend, ein Grenzposten im vermeintlichen Nirgendwo. Die Passfahrt auf Naturstrasse und danach die Einfahrt ins glitzernde Batumi.
Die ersten Tage in Tbilisi, in denen ich mich ständig an Paris erinnert fühlte. Meine zwei Tage in Nikozi! Die Märkte und die Qualität der Lebensmittel in Armenien und Georgien, die ich hier zurück vermisse… Die RenterInnen in Tbilisi, die betteln und die Abfallcontainer nach Lebensmitteln durchsuchen müssen. 

FKB: Würdest du noch einmal nach Armenien und Georgien reisen? 

Sibylle: JA! Auf jeden Fall! Und ich hoffe, dass sich dafür eine Gelegenheit finden wird, auch um an die entstandenen Beziehungen und Kontakte anzuknüpfen, diese zu vertiefen und auszubauen.
Das Interview führte Heidi Matthias