Ulrike Kessl, 1962 in Rottweil geboren, studierte von 1981 bis 1988 an der Kunstakademie Düsseldorf (Meisterschülerin Prof. Heerich). Für ihre künstlerische Arbeit wurde sie mit zahlreichen Preisen und internationalen Stipendien ausgezeichnet. Ihre für Außen- und Innenräume konzipierten Werke wurden in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen präsentiert und sind in verschiedenen öffentlichen Sammlungen vertreten.
FKB: Bei der Betrachtung deiner Werkauswahl aus 30 Jahren fällt die Vielfalt an Themen und Techniken auf. Dennoch scheinen deine Objekte und Installationen miteinander in Verbindung zu stehen.
Was haben „Fliegende Stühle“ und „Rocksäulen“ gemeinsam?
Ulrike: Für beide Installationen verwende ich vorgefertigte Gegenstände, die intakt bleiben. Die „Verwandlung“ geschieht nur durch die Art der Hängung. Ich versuche durch skulpturale Prozesse eine veränderte Sichtweise auf die alltägliche Umgebung zu erzeugen und Fragen zu stellen, z.B:. Warum sieht man jetzt überall Sicherheitswesten? Nicht nur auf Baustellen, sondern im Verkehr, Kinder tragen sie bei Ausflügen, Menschen bei Demonstrationen. Sie wurden sogar zum politischen Symbol (übrigens lange nachdem ich angefangen hatte damit zu arbeiten). Ist unser Sicherheitsbedürfnis gestiegen, oder ist es eine Mode? Bei den Rocksäulen ging es mir um das Verhältnis von Körper und Raum, das mithilfe der Röcke „ausgemessen“ wird. Die runde Form der hängenden Säulen ergibt sich aus der der Rundform der Röcke und schafft so eine Verbindung von Kleidung und Architektur.
FKB: Warum nutzt du gern Textilien oder textile Stoffe für deine Installationen?
Ulrike: Textilien sind extrem vielseitig, sie können z.B. in großen Bahnen eingesetzt werden, wie bei meinen begehbaren „Stoffarchitekturen“, aus den 90er Jahren, die meistens aus rohem Nessel bestanden. Es gibt eine so unglaubliche Vielfalt an Stoffen mit den unterschiedlichsten Eigenschaften. Textilien interessieren mich aber auch, weil wir davon umgeben sind in Form von Bettwäsche, Heimtextilien, Kleidung…. Aspekte wie Mode, Design, Farben, Oberflächen, aber auch die individuelle Geschichte eines Kleidungsstücks spielen eine Rolle, textile Traditionen, soziale Komponenten oder die Geschichte der Industrialisierung, Herstellung und Recycling von Textilien…., all das gehört im engeren oder weiteren Sinn dazu, wenn ich als Künstlerin mit textilem Material arbeite.
FKB: Viele deiner Arbeiten haben eine faszinierende Wirkung auf die Betrachter*innen. Ich denke dabei z.B. an die Fassadengestaltung des Rathauses in Örebro mittels Nylonstrumpfhosen oder die Installation „Syövest“, die ausschließlich aus Warnwesten besteht. Welcher Entwicklungsprozess steckt hinter diesen Werken?
Ulrike: Danke für das Kompliment! Dahinter steckt häufig ein langer Prozess, der verschiedene Phasen durchläuft. Am Anfang spiele ich mit dem Material im Atelier über längere Zeit und probiere unterschiedliche Varianten aus. Wenn ich eine Form gefunden habe, die mir gefällt, teste und überprüfe ich sie auch in anderen Umgebungen, z.B. im Außenraum. Diese empirische Arbeitsweise geschieht meistens im Hinblick auf einen konkreten Raum. Gleichzeitig zeichne und fotografiere ich, um das Gefundene für mich einzuordnen, zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Dann wende ich mich in einem nächsten Schritt dem Raum zu, beschäftige mich mit Grundrissen, Fotos und Plänen und besuche so oft wie möglich den realen Ort. Da meine Installationen immer verspannt oder aufgehängt werden, ist es wichtig, das von Anfang an mitzudenken. Die Verspannung ist Teil der Arbeit und diese funktioniert umgekehrt nur zusammen mit der Umgebung. Hierbei sind viele Faktoren zu bedenken und mit den Verantwortlichen vor Ort zu klären, z.B. der Denkmalschutz beim Rathaus von Örebro. Am besten funktioniert das meiner Erfahrung nach, indem ich die Arbeiten zunächst im kleineren Rahmen aufbaue und dann weiterentwickle.
FKB: Kannst du von deiner Kunst leben?
Ulrike: Ja, in dem Sinne, dass das, was ich im Studium gelernt habe, die Grundlage ist für alles, was ich schon gemacht habe und noch mache: freie Mitarbeit im K20, Lehraufträge, Workshops an Hochschulen und eine Gastprofessur, Bühnenbilder, künstlerisches Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen in Schulen und im betreuten Wohnen und natürlich für die „eigentliche“ künstlerische Arbeit, für die ich auch Honorare bekomme.
FKB: 2010 warst du Stipendiatin des Programms „Präsenz vor Ort“, das nach wie vor die einzige spezielle Förderung für Künstlerinnen mit Kindern darstellt. Was hat es dir gebracht? Könntest du dir andere Unterstützungsmaßnahmen für Künstlerinnen mit Familie vorstellen?
Ulrike: Die Unterstützung war sehr wichtig für mich, nicht nur finanziell, sondern auch im Sinne einer Anerkennung, die mir speziell in einer Phase geholfen hat, in der ich nicht so viel arbeiten und ausstellen konnte. Bei der Erziehung unserer Tochter haben wir uns die Arbeit geteilt, da mein Mann ebenfalls selbstständig ist. Er hätte sich übrigens auch ein entsprechendes Stipendium gewünscht.
Ich hätte mir damals über die Förderung hinaus eine stärkere Vernetzung vorstellen können und habe bedauert, dass es im Rahmen des Stipendiums nur ein einziges Treffen zwischen den Künstlerinnen und dem Frauenkulturbüro gab. Ich hätte mir eine Präsentation der Arbeiten vorstellen können, intern oder öffentlich oder andere Arten des Austauschs, wie z.B. Künstlerinnengespräche. (Anmerk. d. Redaktion: Seit 2016 finden im Rahmen des Programms „Präsenz vor Ort“ regelmäßig öffentliche Präsentationen der Stipendiatinnen statt.)
FKB: Welche Pläne hast du in nächster Zeit? Gibt es ein neues Projekt?
Ulrike: Aktuell zeige ich eine Installation im Kunstbüdchen in Ratingen und in Oisterwijk (NL) ist gerade „Syövest“ im Rahmen einer Biennale im städtischen Raum zu sehen, außerdem läuft die „FahrArt“, eine Kunstradroute am Niederrhein, im Rahmen derer meine „Fliegenden Stühle“ noch bis Mai 2023 zu sehen sein werden und zwar am De Wittsee in Nettetal. Eine weitere Ausstellung wird am 6.7. in den Räumen der Firma Tünkers eröffnet wo ich meine „Autohimmel“ zeige, die thematisch zum Tätigkeitgebiet der Firma passen. Ein neues Projekt, an dem ich gerade arbeite, besteht darin, eine Auswahl aus meinen Zeichenbüchern, die ich seit 30 Jahren führe, zu publizieren. Das Ergebnis, eine Art Künstlerbuch, soll bis Ende des Jahres fertig werden.
Das Interview führte Heidi Matthias